Anlässlich des 23. Darmkrebsmonats März, der seit 2002 jedes Jahr zur Aufklärung über Darmkrebsvorsorge genutzt wird, stellt Doctolib die wichtigsten Fragen zum Thema an den Gastroenterologen Dr. med. Berndt Birkner.
Laut einer repräsentativen Umfrage von Doctolib fanden während der Corona-Pandemie wichtige Vorsorgeuntersuchungen wie Darmspiegelungen nicht statt. Wie ist der Status quo bei den (vermeidbaren) Darmkrebsfällen in Deutschland und tun wir genug für die Früherkennung?
Dr. med. Berndt Birkner: Die aktuellen Zahlen zur Darmkrebsfrüherkennung zeigen, dass die Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen stagniert oder sogar zurückgeht. Dies ist besorgniserregend, da die geschätzten Teilnahmeraten weit unter dem angestrebten Zielwert von 60 Prozent liegen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DkfZ) hat berechnet, dass die Anzahl der Erkrankungen wieder steigen wird. Daher ist es von größter Bedeutung, die Bemühungen zur Darmkrebsvorsorge zu verstärken.
Was muss sich ändern, damit mehr Menschen Vorsorgeleistungen in Anspruch nehmen und was raten Sie Patient:innen?
Dr. med. Berndt Birkner: Obwohl etwa 60 Prozent der Menschen, die zur Darmkrebsvorsorge berechtigt sind, auch durchaus motiviert sind, gehen sie nicht zur Untersuchung. Dieses Phänomen müssen wir weiter untersuchen, um die genauen Gründe zu verstehen. Es scheint jedoch plausibel, dass die Vorsorge für viele Menschen immer noch zu aufwändig ist. Allein der Ablauf einer Vorsorgeuntersuchung zur Prüfung auf Blut im Stuhl erfordert zwei Arztbesuche, eine Überweisung zum Labor und eine tagelange Auswertung und Übermittlung der Ergebnisse. Diese Hürden könnten dazu führen, dass Menschen von der Vorsorge abgeschreckt werden. Ich rate Patient:innen dazu, diese Leistungen dennoch in Anspruch zu nehmen und bezogen auf Vorsorge Routinen zu pflegen, wie in allen anderen Lebensbereichen auch. Das macht es selbstverständlicher und weniger “optional”.
Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist der Mangel an Medizinischen Fachangestellten (MFA) sowie an jungen Ärzt:innen. Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit sich die Situation nachhaltig verbessert?
Dr. med. Berndt Birkner: Nach einer Umfrage unter Endoskopieassistenzkräften in Klinik und Praxis, die wir in 2021 durchgeführt haben, ist die fehlende Wertschätzung der Tätigkeiten, die heute von Assistenzkräften und Ärzt:innen geleistet werden, ein wichtiger Punkt. Aufklärung darüber ist essenziell, damit Patient:innen verstehen, welche anspruchsvollen Tätigkeiten von den Menschen im Gesundheitssystem erbracht werden. Dazu kommt, dass die Leistungen der Ärzt:innen und ihrer nicht-ärztlichen Kolleg:innen dramatisch unterbezahlt sind.
Inwiefern können der neue MFA-Tarifvertrag oder die Entbudgetierung von Fachärzt:innen dazu beitragen, das Personalproblem zu lösen. Ist es mit mehr Geld getan?
Dr. med. Berndt Birkner: Ein erster Schritt zur Steigerung des MFA-Tarifvertrags ist getan. Diese Veränderung sorgt schon einmal dafür, dass der MFA-Beruf (Medizinische Fachangestellte) wieder attraktiver wird. Leider fehlt in Praxen aber die Gegenfinanzierung. Sie können sich aufgrund der mangelnden Finanzierung durch die vertragsärztlichen Leistungen von gesetzlich Versicherten eine Tarifsteigerung ihrer Mitarbeitenden ohne Gefährdung der finanziellen Basis nicht mehr leisten. Insofern greift die gerechtfertigte Tarifsteigerung der MFA Gehälter zu kurz. Mit ihnen müssten sich auch die Abrechnungsstrukturen für erbrachte Leistungen in der Praxis verändern.
Was sind Ihre Forderungen oder Vorschläge an die Politik, damit sich die Lage im ambulanten Sektor verbessert und was kann die Gesellschaft dazu beitragen?
Dr. med. Berndt Birkner: Wir Mediziner zusammen mit unseren nicht-ärztlichen Kolleg:innen sind die Gesundheits- und Krankheitsversorger der Nation. Ohne uns gibt es keine Versorgung von Kranken, keine Gesunderhaltung von Jung und Alt, und auch keine Pflege der Alten und Gebrechlichen. Wir sind die Hauptstütze eines funktionierenden Gesundheitssystems. Aus diesem Grund muss uns die prioritäre Unterstützung durch Politik und Gesellschaft zukommen. Der Exodus von Ärzt:innen und Fachkräften zeigt bereits eine gefährliche Tendenz zum Kollaps des Systems auf.
Inwiefern helfen digitale Tools dabei, z. B. die präventive Versorgung zu stärken und Gesundheitsfachkräften administrative Aufgaben abzugeben und wieder mehr Zeit für die Patient:innen zu geben?
Dr. med. Berndt Birkner: Prävention und digitale Prävention sollten oberste Priorität haben. Durch eine umfassende und effektive Prävention können Krankheiten und Todesfälle vermieden werden. Die digitale Prävention ermöglicht einen einfacheren Zugang zu präventiven Maßnahmen und generiert direkt Daten, die uns bei der Analyse und Identifizierung von Schwachstellen in den präventiven Verfahren unterstützen. Dadurch können wir diese Verfahren weiter optimieren. Es ist dringend erforderlich, die bürokratischen Abläufe in Praxen und Kliniken zu digitalisieren und in entsprechende Planungen für Patientenverwaltungssysteme, Terminvereinbarungen, Finanzen und Investitionen zu integrieren. Dies wird die Effizienz steigern und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Prävention schaffen.
Was wünschen Sie sich für das Gesundheitssystem bzw. was müsste sich aus Ihrer Sicht als Präsident des Netzwerks gegen Darmkrebs verändern?
Dr. med. Berndt Birkner: Ich habe den Wunsch, dass unser Netzwerk gegen Darmkrebs weiter wächst. Wir haben bereits einen guten Fortschritt erzielt, aber wir haben noch nicht die gewünschte Größe erreicht. Es ist dringend erforderlich, dass wir uns mit anderen Partnern und Vertretern aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und Entscheidungsebenen zusammenschließen, um Daten, Erfahrungen und Innovationen auszutauschen. Unser Hauptziel ist es, uns wieder verstärkt auf die Betreuung von Hilfesuchenden, Kranken und Menschen, die sich um ihre Gesundheit bemühen, zu konzentrieren. Wir müssen das Verhältnis zwischen Bürokratie und Versorgung umkehren, sodass es nicht mehr 70% Bürokratie und 30% Versorgung sind, sondern umgekehrt. Wenn wir dieses Gleichgewicht erreichen, können Versorger und Versorgte wieder in dem Verhältnis zueinander stehen und handeln, wie wir es uns bei der Wahl unseres Berufes vorgestellt haben. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten.
Wir bedanken uns herzlich bei Dr. med. Berndt Birkner für das Gespräch. Er ist Gastroenterologe sowie Gründungsmitglied und Präsident des Vereins Netzwerk gegen Darmkrebs e.V.
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